Konzertreise Baltikum 2014, Tallinn Umzug

Text: Julian Jaros, Fotos: Brigitte Fässer

Was für ein Höhepunkt gleich zum Anfang! Die Männerstimmen sind in mehreren kleineren Gruppen nach Tallinn gereist, entweder mit Bahn und Fähre, oder per Flugzeug. Kaum vereint am Zielort, war gerade genug Zeit für ein mitgebrachtes Ueli Bier, dann ging es schon los:

 

Das Laulupidu-Sängerfest in Tallinn (Estland) begann mit einem langen Umzug aller 900 teilnehmenden Chöre durch die Innenstadt in Richtung Festivalgelände – was zugegebenermassen banal klingt. Die Freude und Wärme von den zahlreichen Zuschauern hat uns jedoch überwältigt! Sobald die mitgeführte Schweizerfahne und unser Männerstimmen Basel-Schild erspäht wurden, ertönte „Grüezi Schwyz“, „Willkommen“ und gar „Bienvenue Suisse“ von allen Seiten. Leute jauchzten spontan und applaudierten deutlich enthusiastischer als für die Chöre vor oder hinter uns. Was genau ging hier vor?

Es war geradezu grotesk, wie wir mit hochgestreckten Daumen, Hand-auf-Herz-Gesten und Verbeugungen beglückt wurden, scheinbar ohne eine besondere Leistung erbracht zu haben. Gründe für diese überbordende Freude müssen in den historischen Gegebenheiten gesucht werden: Unabhängig geworden kurz nach dem Ersten Weltkrieg, wurde die Republik Estland schon ab 1939 wieder besetzt von wechselnden Mächten. Diese Fremdbestimmung dauerte bis 1989; die Sowjetunion kam ins Wanken und schlussendlich zu Fall.

 

In dieser Zeit zogen die Esten zusammen mit Lettland und Litauen die Singende Revolution durch. Menschen in allen drei Ländern kamen in ihren Hauptstädten wieder und wieder zu Hunderttausenden zusammen, um heimische Lieder als kampflose Form von Widerstand zu singen, so wie es schon seit Beginn der Okkupation gemacht wurde. Schlussendlich gelang 1991 die friedliche, formelle Wiederherstellung der Unabhängigkeit. Alle fünf Jahre kommen seither die Esten am Laulupidu wieder zusammen, um diese Freiheit zu feiern und das Bewusstsein der jungen Nation zu stärken und zu zelebrieren. Während das Sängerfest eine mehr als hundertjährige Tradition aufweisen kann, wird es seit den 1990er-Jahren als eigentliche Nationalfeier verstanden.

 

Als „petit pays“, das sich auch seit langer Zeit mit Frieden, Neutralität und Freundschaft in einem Umfeld mit viel gewichtigeren Nachbaren erfolgreich behaupten kann, geniesst die Schweiz eindeutig grosse Sympathien in Estland. Unsere Gassenhauer wie „La Montanara“ oder „Bajazzo“ kamen auch hier sehr gut an, und die Knickerbocker-Outfits waren passenderweise sehr authentisch und teilweise leicht zu verwechseln mit den traditionellen Kostümen der einheimischen Chöre. Diese waren übrigens sehr schön, und alle wollten sich von ihrer besten Seite zeigen. Die Jungs trugen fröhlich ihre (Verbindungs-)Hüte und Käppis, die Mädels zeigten charmante, selbstgeflochtene Blumenkränze auf meist güldenem Haar.

 

Ein spontanes Ständchen für das grosse estnische Onlineportal "Delfi TV" kam auch noch zu Stande!

Dieser herrliche Umzug war vergleichbar mit dem Cortège an der Fasnacht, nur dass der Austausch mit dem Publikum viel intensiver und herzlicher war; mehr ein gegenseitiges Beglückwünschen und (geistiges) Umarmen, als nur ein Schaulaufen. Zudem wurde uns bewusst, was für ein liebreizendes Volk die Estinnen (sic) sind.

 

Kurz, die Stimmung war grandios, und wir freuten uns auf die kommenden Konzerte.

Mit freundlicher Unterstützung von:
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